Nachhall – Musikalische Zitate I

„Ich bin ja bald …“ – Wenn Musik sich selbst erinnert

Es sind nur fünf Takte. Ein kurzer, unscheinbarer Abschnitt im ersten Satz von Beethovens Klaviersonate op. 109, unmittelbar nach dem eröffnenden Vivace-Motiv. Die rechte Hand zieht sich zurück in eine ruhige Linie, fast gesprochen, fast zaghaft. Takt 21 bis 25.

Joachim Kaiser, der große Musik- und Literaturkritiker (verstorben 2017) war es, der mich in einem seiner Vorträge über Beethovens Klaviersonaten darauf aufmerksam machte, dass hier ein bedeutendes musikalisches Selbstzitat Beethovens aus dem „Fidelio“ liegt. (Kaiser nahm die Entdeckung übrigens für sich in Anspruch). Ich war fasziniert.
Und es wirkt bis heute nach – wer einmal gehört hat, was Joachim Kaiser hörte, hört diese Stelle nie wieder ohne diesen „Schatten“ des Fidelio-Zitats:

Beethoven, Klaviersonate Nr. 30 E-Dur, 1. Satz

„Ich bin ja bald des Grabes Beute …“
So singt Rocco im Terzett mit Leonore und Marzelline (Nr. 5 der Partitur), kurz vor dem Abstieg in das Gefängnisgewölbe – ein Moment aus Fidelio, Beethovens einziger Oper, geprägt von Angst, Entschlossenheit, Dunkelheit.

Beethoven, Fidelio, Nr. 5 Terzett

Und nun diese Melodie – identisch in Kontur und Gang, gelöst aus dem dramatischen Kontext, in eine Klaviersonate übertragen. Aber nicht kalt, nicht ironisch. Eine Reminiszenz, ein Aufleuchten der eigenen Erinnerung, an der Beethoven uns hier teilhaben lässt.

Was bedeutet es, wenn ein Komponist sich selbst zitiert?

Es ist keine Fingerübung, kein Manierismus, kein Augenzwinkern ins eigene Werk. Es ist Erinnerung – an eine andere Zeit, an einen früheren Ausdruck, an einen unausgesprochenen Gedanken, der zurückkehrt. Und vielleicht auch ein Dialog mit sich selbst:
Ein anderer Ort, ein anderer Moment – aber derselbe Mensch, der da spricht. Nur reifer. Gebrochener. Heller.

Beethovens Spätwerk ist voll solcher Erinnerungen – leiser Selbstzitate, Reflexe früherer Gesten. Doch dieses Beispiel ist besonders eindringlich, weil es die Oper in die Sonate holt – das äußere Drama in die innere Welt.
Und wer genau hinhört, merkt: Es ist nicht einfach „noch einmal das Gleiche“.

Es ist noch einmal – und doch mit allem, was inzwischen geschehen ist.

Vielleicht liegt darin der tiefere Sinn des musikalischen Selbstzitats:
Nicht die Wiederholung, sondern das Wiederfinden.


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